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Richard-Wagner-Familienarchiv (auch: Richard-Wagner-Archiv / Wahnfried-Archiv)

Wagner hinterließ kein Testament, welches seine Nachlaßangelegenheiten und die Zukunft der Bayreuther Festspiele rechtsverbindlich hätte regeln können. So unternahm der Bayreuther Bankier Adolf von Groß (25.3.1845-5.6.1931), der die finanziellen und juristischen Angelegenheiten der Familie besorgte und der nach Wagners Tod zum Vormund der Kinder bestellt worden war, dem dringenden Wunsch von Wagners Witwe Cosima folgend die nötigen Schritte, um ihren und Wagners Sohn Siegfried neben ihr zum alleinigen Miterben zu machen und seine Geschwister mit dem gesetzlichen Pflichtteil abzufinden. Mit gemeinschaftlichem Testament vom 8.3.1929 setzten sich Siegfried und seine Ehefrau Winifred Wagner gegenseitig als Allein- und Vorerben ihrer Kinder ein. Mit dem Tod Cosima Wagners am 1.4.1930 und Siegfried Wagners am 4.8.1930 ging der Nachlaß Richard und Cosima Wagners und damit auch das Familienarchiv in das Eigentum Winifred Wagners über. Es enthält den Großteil der Musik-, Dichtungs- und Prosamanuskripte Richard Wagners, an der Spitze die autographen Libretti, Kompositions- und Orchesterskizzen sowie  Partiturerst- und -reinschriften, ca. 5.000 Briefe, Briefkonzepte und Telegramme Wagners (davon 1.450 Briefautographe und über 3.000 Abschriften), Urkunden und sonstige biographische Dokumente, über 900 Briefautographe und ca. 450 Briefabschriften Cosima Wagners, 353 Briefautographe Franz Liszts, 76 Briefe Anna Liszts, 98 Briefe Blandine Liszts, 106 Briefe Daniel Liszts, ca. 7.500 Briefe, Telegramme und sonstige Schriftstücke an Richard Wagner und seine Familie sowie die ►Wahnfried-Bibliothek, das Foto-Archiv der Familie, das Archiv der Festspielverwaltung Bayreuth bis 1945, Bilder und Büsten Richard Wagners und Familie sowie sonstige persönliche Gegenstände und schließlich den künstlerischen Nachlaß Siegfried Wagners, darunter die autographen Originalpartituren seiner Werke. Im Jahre 1932 bestellte Winifred Wagner den damaligen Bayreuther Stadtbibliothekar Dr. Otto Strobel (20.08.1895-23.02.1953) zum Verwalter des Familienarchivs. Nach dessen Tod übernahm dessen Witwe Gertrud Strobel (20.03.1898-11.06.1979) diese Tätigkeit. Im Zuge der Gründung der ►Richard-Wagner-Stiftung 1973 verkaufte die Familie das Archiv für 12,4 Mio. DM an die drei Stiftungsträger Bundesrepublik Deutschland, Oberfrankenstiftung und Bayerische Landesstiftung, die es wiederum der Richard-Wagner-Stiftung zur Verwaltung im Rahmen einer öffentlichen Institution als Dauerleihgabe überließen.

Nationalarchiv Bayreuth

Den Grundstock des Nationalarchivs der ►Richard-Wagner-Stiftung bildet das mit Stiftungsgründung 1973 erworbene ►Richard-Wagner-Familienarchiv (auch: Richard-Wagner-Archiv / Wahnfried-Archiv, s. dort) sowie die Archive und Bibliotheken der ►Richard-Wagner-Gedenkstätte (s. dort), deren Leiter Dr. Manfred Eger (geb. 17.09.1927) mit der Eröffnung des ►Richard-Wagner-Museums im Haus ►Wahnfried 1976 auch die Verwaltung des Nationalarchivs übernahm. Archiv und Verwaltung befanden sich zunächst in den Räumen des »Chamberlain-Hauses« in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses Wahnfried (Wahnfriedstraße 1). Nach Maßgabe der Satzung der ►Richard-Wagner-Stiftung verwaltet und bewahrt das Nationalarchiv seine Bestände nach den geltenden wissenschaftlichen und konservatorischen Kenntnissen und Grundsätzen des Bibliotheks- und Archivwesens. Weiterhin ist es dazu bestimmt, weitere Dokumente in Schrift und Bild sowie Druckwerke und Gegenstände, die Leben, Schaffen und Nachwirkung Richard Wagners betreffen, zu sammeln und zu bewahren, um sie als öffentliche Forschungsstätte für wissenschaftliche Forschungen und Veröffentlichungen sowie im Rahmen von Dauer- und Sonderausstellungen des ►Richard-Wagner-Museums (Haus ►Wahnfried) zur Verfügung zu stellen. Die wichtigste Zuerwerbung war 1978 für über 1 Mio. US-$ die sog. »Burrell-Sammlung« mit 364 Briefen Wagners, vor allem an seine erste Frau Minna, aber auch an Ernst Benedikt Kietz, Anton Pusinelli u.a., dem einzigen erhaltenen Brief Wagners an Mathilde Wesendonck (»Morgenbeichte« v. 7.4.1858) und weiteren wichtigen Werk-Manuskripten Wagners, u.a. zu seinen Jugenddramen Leubald (1827) und Die Hochzeit (1833), den frühen Opern Die Feen (1833/34), Das Liebesverbot (1840) und Rienzi (1837-41), sowie zu Holländer, Tannhäuser, Lohengrin und Meistersinger.

Neben dem handschriftlichen Nachlaß Richard und Cosima Wagners, also Musik-, Dichtungs- und Prosamanuskripten Richard Wagners – an der Spitze die autographen Libretti, Kompositions- und Orchesterskizzen sowie  Partiturerst- und -reinschriften –, 3.677 Originalbriefen und 3.220 Briefabschriften, dem Diktatmanuskript von Wagners Autobiographie Mein Leben, den Tagebüchern Cosima Wagners, Urkunden und sonstigen biographischen Dokumenten, über 900 Briefautographen und ca. 450 Briefabschriften Cosima Wagners und weiteren mehreren Tausend Briefdokumenten der Familien Liszt/Wagner und anderer Absender, dem Archiv der Festspielverwaltung Bayreuth bis 1945, Bildern und Büsten Richard Wagners und Familie, dem künstlerischen Nachlaß Siegfried Wagners, darunter die autographen Originalpartituren seiner Werke sowie sonstigen persönlichen Gegenständen Wagners und seiner Familie enthält und verwaltet das Nationalarchiv heute auch Wagners ►Wahnfried-Bibliothek mit rd. 2.500 Bänden, die Bibliothek Houston Stewart Chamberlains mit rd. 12.500 Bänden, die aus den Beständen der ►Richard-Wagner-Gedenkstätte entstandene Studienbibliothek mit mehr als 40.000 bibliographischen Einheiten, ein Bildarchiv mit rd. 15.000 Bilddokumenten und ein Schallarchiv mit 11.346 Titeln. Das an das Haus Wahnfried angebaute und von Winifred Wagner bewohnte »Siegfried-Wagner-Haus«, das mit Gründung der ►Richard-Wagner-Stiftung von der Stadt Bayreuth für 600.000 DM erworben worden war, verblieb nach ihrem Tod am 5.3.1980 zunächst ungenutzt, wurde aber bis 1992 renoviert und umgebaut und beherbergt heute die Verwaltungs- und Archivräume. Das »Richard-Wagner-Museum mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth« ist die zentrale und weltweit mit Abstand größte und bedeutendste Wagner-Sammlung und untersteht seit 1993 der Leitung von Dr. Sven Friedrich.

Bibliotheken

Die Berufung Wagners zum königlich sächsischen Hofkapellmeister in Dresden 1842 verschaffte ihm erstmals in seinem Leben eine feste Anstellung mit einem regelmäßigen Gehalt, das ihm den planvollen Aufbau einer Bibliothek gestattete. Sie enthielt am Ende ca. 200 Titel mit 500 Bänden, darunter bereits nahezu sämtliche Quellentexte für sein nachfolgendes Werk wie Über den Krieg von Wartburg von C.T.L. Lucas, die Vorrede zum Vaticanischen Manuskript des Lohengrin-Epos von Joseph Görres, die Deutsche Mythologie und die Deutschen Sagen der Gebrüder Grimm sowie weitere Quellen zum Ring (Der Nibelunge Not und Klage, Zu den Nibelungen von Lachmann, die Edda, Simrocks Deutsches Heldenbuch, Wilhelm Grimms deutsche Heldensage, Untersuchungen zur deutschen Heldensage von Mone und Snorris Geschichte der norwegischen Könige), die Werke Hans Sachs’, das Tristan-Epos Gottfried v. Straßburgs und die Werke Wolfram v. Eschenbachs, darunter das Parzival-Epos. Als Wagner nach seiner Beteiligung an den Dresdner Auf­ständen 1849 ins Zürcher Exil fliehen mußte, überließ er die Bibliothek sei­nem Schwager, dem Verleger Heinrich Brockhaus, gegen ein Darlehen von 500 Talern. Er bat ihn, die Bibliothek geschlossen aufzubewahren, da er sie später wieder auslösen wollte, wozu es jedoch nie kam. Statt dessen begann Wagner in Tribschen und Bayreuth eine neue Bücher­sammlung, Grundstock der rd. 2.500 Bände umfassenden »Wahnfried-Bibliothek«, die sich damals wie heute im Saal des Hauses befindet. 1873 überließ Wagner die Dresdner Bibliothek seinem Schwager end­gültig als Ausgleich für das nie zurückgezahlte Darlehen. So verblieb die Bibliothek zunächst im Besitz der Familie Brockhaus in Leipzig. Erst 1939 wurde ihre wissenschaftliche Erschließung durch die neubegründete Bayreuther »Richard-Wagner-Forschungsstätte« (s.a. ►Richard-Wagner-Gedenkstätte) erwogen, was durch den Kriegs­ausbruch jedoch verhindert wurde. Am 4.12.1943 fiel in einer der Leipziger Bombennächte das Gebäude des Brockhaus-Verlages einem Luftangriff zum Opfer. Daher mußte man annehmen, daß mit dem Verlagshaus auch Wagners Dresdner Bibliothek vernichtet worden sei. Doch die Bibliothek war während der Bombenangriffe in einem tiefen Bunker eingelagert und nach dem Krieg nach Wiesbaden gerettet worden. Der Verleger Hans Brockhaus selbst hatte bereits mit ihrer Katalogisierung begonnen, die später von seiner Frau Susanne zu Ende geführt wurde, und dachte ebenfalls über eine Kommentierung und Herausgabe nach, welche er nun dem Fachmann Curt von Westernhagen übertrug (s. Literatur). Nur 20 Titel mit rd. 100 Bänden sind verlorengegangen, dank einer von Minna Wagner angefertigten Inventarliste ist aber bekannt, um welche Titel es sich dabei handelt. 1974 überließ Susanne Brockhaus Wagners Dresdner Bibliothek der neugegründeten ►Richard-Wagner-Stiftung in Bayreuth als Geschenk für das ►Richard-Wagner-Museum mit ►Nationalarchiv im Haus ►Wahnfried.

WagnersWahnfried-Bibliothek befand sich bis 1945 an ihrem ursprünglichen Platz im Salon des Hauses Wahnfried. Erst zu Beginn des letzten Kriegsjahres wurden die Bücher in Kisten verpackt und auf Schloß Wiesentfels in der Fränkischen Schweiz in Sicher­heit gebracht. Andernfalls wäre am 5.4.1945 ohne jeden Zweifel die gesamte Bibliothek vernichtet worden, als das Haus Wahnfried von einer Fliegerbrandbombe getroffen und dabei zur Hälfte zerstört wurde, wobei der Saal vollständig ausbrannte. Nur unter großen Schwierigkeiten konnte der Abtransport der von der amerikanischen Besatzung als Reparationsleistung beschlagnahmten Bücherkisten in die USA verhindert werden. Zusammen mit dem ►Richard-Wagner-Familienarchiv wurde die Bibliothek 1973 aus dem Familienbesitz von der ►Richard-Wagner-Stiftung erworben, und gemäß einem handschriftlichen Standortkatalog von 1888 befindet sich heute wieder jedes Buch wieder an seinem ursprünglichen Platz. Der ebenso quantitative wie qualitative Schwerpunkt der Wahnfried-Bibliothek liegt auf der epi­schen, dramatischen und lyrischen Weltliteratur. Der gesamte bildungsbürger­liche Literaturkanon des 19. Jahrhunderts ist hier vertreten: Werke von Hans Sachs, Klopstock, Lessing, Wieland, Goethe, Schiller, Hölderlin, Jean Paul, Tieck, den Gebrüdern Schlegel, Platen, Voltaire und Rousseau fehlen ebensowenig wie Corneille und Racine. Aber auch zeitgenössische französische Litera­tur von Balzac und Baudelaire bis Jacolliot ist vertreten. Schließlich findet sich die große englische Epik von Scott, Sterne, Swift, Milton, Ossian sowie die Ly­rik Shelleys, die Spanier Cal­derón, Cervantes und Lope de Vega, die italieni­sche Klassik mit Werken von Dante, Ariost, Tasso und Macchiavelli sowie sizi­lianische Märchen, aber auch ungarische und persische Dichter. Wie schon in der Dresdner Bibliothek findet sich ein breites Spektrum der klassischen Anti­ke, der griechischen ebenso wie der römischen; besonders wertvoll darunter die Straßburger Cäsar-Ausgabe von Cuspinianus aus dem Jahre 1541 mit einer Vorrede von Melanchton. Aber Wagner besaß auch die Urtexte des Beowulf, des Heliand und des Ulfila ebenso wie Brants Narrenschiff und eine dreibändige Ausgabe mit Texten der Minnesinger. Unter den Musikalien dominiert natürlich Beethoven mit einer Gesamtausgabe seiner Werke, außerdem Bach und Mozart. Werke von Berlioz und Bruckner fehlen ebenfalls nicht, auch nicht Motetten von Palestrina oder Opern von Gluck. Weiterhin Cheru­bini und Cimarosa, Scarlatti und Spontini, Rossaro und Rossini, Chopin und Glinka, aber auch Mendelssohns Paulus und seine Ouvertüren sowie Méhuls Joseph und Halévys Jüdin, nicht jedoch Verdi, Brahms und Meyerbeer. Im Bereich der Philosophie nimmt natürlich Schopenhauer die Zentralstellung ein und ausgehend davon die indisch-brahmanische und buddhistische religiöse Dichtung wie die Upanishads. Daneben alle maßgebli­chen, kanonisierten Denker der klassischen Antike und der mitteleuropäischen Geistesgeschichte, aber auch Titel von Spinoza, Hobbes und Locke, Gior­dano Bruno und Pascal, sowie der Mystiker vom Mittelalter – namentlich Mei­ster Eckhart – bis zum Barock – hier Jakob Böhme – bis hin zu den amerikani­schen Spiritualisten, schließlich Schriften zur Vivisektion sowie antisemitische und rassetheoretische Schriften. Von Nietzsche besaß Wagner nur die Geburt der Tragödie und die Unzeitgemäßen Betrachtungen, die nach 1876 entstandenen Anti-Wagnerischen Schriften fehlen begreiflicherweise. Dem Umfang von Wagners altnordischen und allgemeinen etymologischen Studien entspricht auch die Literatur hierzu: neben dem Altnordischem Lesebuch und dem Altnordischen Sagenschatz von Ettmüller auch F.A. Wimmers Altnordische Grammatik sowie Nordiske Fortids Sagaer und Oldnordiske Sagaer, Wörterbücher und Grammatiken des Keltischen und Altfriesischen, Schmitthenners Ur­sprachlehre oder Brandstäters Die Gallicismen in der deutschen Schriftsprache. Im Bereich der Geschichtswissenschaften finden sich neben Detailuntersuchungen die Standardwerke von Mommsen, Ranke, Arndt und Droysen. Außerdem Untersu­chungen zu Völkerkunde, Geographie und Naturwissenschaften, kunsthistorische und archäologische Werke wie Vi­truv und Palladio, Vasari und Sandrart.

Neben den Bibliotheken aus Wagners Eigentum, die heute im ►Richard-Wagner-Museum des Hauses ►Wahnfried ausgestellt sind, verwaltet das angegliederte ►Nationalarchiv der ►Richard-Wagner-Stiftung ebenfalls die aus den Beständen der ehemaligen ►Richard-Wagner-Gedenkstätte der Stadt Bayreuth übernommenen Bibliotheken, die den Grundstock zu der heute rd. 40.000 bibliographische Einheiten umfassenden wissenschaftlichen Fachbibliothek bilden, welche von den Benutzern des Archivs ebenso konsultiert werden kann wie der als eigenständige Bibliothek erhaltene »Buchgaden« Houston Stewart Chamberlains in dessen ehemaligem Wohnhaus mit rd. 12.500 Bänden.

 

Literatur

M. Eger: Die Bibliotheken des Richard-Wagner-Museums und der Richard-Wagner-Gedenkstätte, in: Bibliotheksforum Bayern 15 (1987), S. 227-240. ·S. Friedrich, »Das Buch eines edlen Geistes ist der kostbarste Freund« – Richard Wagner und seine Bibliotheken, in: »Schlagen Sie die Kraft der Reflexion nicht zu gering an« – Beiträge zu Richard Wagners Denken, Werk und Wirken, hrsg. v. K. Döge, C. und P. Jost, Mainz u.a 2002, S. 11-20. · C. v. Westernhagen, Richard Wagners Dresdner Bibliothek 1842-1849, Wiesbaden 1966.